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Mirakelökonomie
Vorbemerkung zum Text: Wenn uns Hermann Benjes hier die wahre Geschichte eines „lokalen Geldes“ erzählt, dann lenkt er mit dieser Bezeichnung möglicherweise von anderen ganz entscheidenden Umständen ab. Diese sind:
- Der Gouverneur – also die Regierung – der Insel schlägt vor, Geld selbst zu drucken, um damit einzukaufen, und nicht über Kredite zu beschaffen. Dieses „unschöne“ Geld, als „nicht richtiges“ erkennbar, wird aber trotzdem zur Bezahlung akzeptiert. Wahrscheinlicher Grund hierfür: Die Zusicherung des Gouverneurs, das „unschöne Geld“ zur Bezahlung der Miete der Markthalle und der Steuern zu akzeptieren. Denn nur dann kann er
- das “unschöne Geld“ wieder aus dem Verkehr ziehen und makulieren. Und damit eine inflationäre Geldschwemme verhindern.
Diese Umstände werden in der Geschichte mehrfach angesprochen. Sie zeigen auf, worin sich dieses „unschöne“ Geld vom „schönen“ Geld, dem von der Bank of England und den Geschäftsbanken über Kredite emittierten, unterscheidet. (Ernst Dorfner)
Hermann Benjes:
Das Mirakel von Guernsey
Not macht erfinderisch, mit lokalen Geld schon vor 180 Jahren aus einer Krise
Im Jahre 1815 (!) waren die Folgen der napoleonischen Kriege noch längst nicht überwunden. Armut machte sich breit in Europa, und besonders schlimm, ja katastrophal, traf es die englische Kanalinsel Guernsey. Vom milden Golfstrom umspült, mit fruchtbarem Boden gesegnet und klimatisch begünstigt (Guernsey bleibt vor strengen Wintern verschont) bot die Insel seit Menschengedenken ideale Voraussetzungen für Fischfang, Obst- und Gartenbau.
Die Inselbewohner galten als fleißig und tüchtig. Sie produzierten über den Eigenbedarf hinaus und hätten durch den Gemüse- und Fischexport nach England (und durch den Schmuggel mit Frankreich!) reich werden können, wenn es nicht zu diesem ,,unerklärlichen“ Geldmangel gekommen wäre, der den Gemüseanbau schließlich zum Stillstand brachte, die Menschen zur Verzweiflung und die Insel in den Konkurs trieb. Die vom englischen Mutterland eingetriebenen Steuern und die Zinszahlungen an Londoner Banken brachten den Zahlungsverkehr zum Erliegen. 1815 hatte der Schuldendienst solche Ausmaße erreicht, dass die Zinsen durch das Steueraufkommen der Insel nicht mehr aufgebracht werden konnten.
In dieser Lage sah sich der Gouverneur von Guernsey, Daniel de Lisle Brock, nach einem rettenden Ausweg um. Es fehlten ihm 4000 Pfund, mit deren Hilfe er eine Markthalle bauen wollte, die – da war er sich ganz sicher – dem danieder liegenden Fisch-, Fleisch -und Gemüseumschlag bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit neuen Auftrieb geben würde.
Der Gouverneur ließ die gesetzgebende Versammlung der Insel zusammentreten und zählte zunächst die Probleme auf: Das Ziegelwerk von Guernsey saß auf einem großen Vorrat gebrannter Ziegel, die keiner kaufen konnte. Dem Kalk der Kalkbrennerei war ebenfalls nur mit Geld beizukommen.
Was tun, wenn das Geld fehlt?
Tüchtige Handwerker und fleißige Arbeiter ließen sich nur mit Geld aktivieren. Geld, das der Inselbevölkerung nicht mehr in ausreichender Menge zur Verfügung stand und aus den geschilderten Gründen selbst gegen hohe Zinsen nicht mehr anzutreiben war. Eine Markthalle, rechnete der Gouverneur vor; würde für 4000 Pfund Sterling zu haben sein und sich über Mieteinnahmen innerhalb von wenigen Jahren bezahlt machen. So weit konnten die Abgeordneten ihrem Gouverneur noch folgen und zustimmen, aber dann verschlug es ihnen die Sprache:
Daniel de Lisle Brock schlug der Versammlung vor sich diese 4000 Pfund doch einfach selber zu drucken und als Zweitwahrung neben der englischen Wahrung frei zirkulieren zu lassen! Sei die Halle erst mal da und habe sich durch Mieteinnahmen amortisiert, würden diese 4000 Pfund Sterling so nach und nach wieder aus dem Verkehr gezogen und restlos makuliert!
Da die Menschen damals offenbar noch an Wunder glaubten und ihren Verstand beisammen hatten, leuchtete den meisten ein, dass der Traum von einer eigenen Markthalle auch mit ,,unschönem“ Geld verwirklicht werden konnte, zumal dieses Notgeld ja anschließend auch wieder verschwinden wurde. Von der ganzen Aufregung würde nur die Markthalle übrigbleiben und der Inselwirtschaft neue Impulse geben. Es gab aber auch heftige Kritik von Abgeordneten, die den Vorschlag einfach nur lächerlich, dumm, absurd, undurchführbar und vor allem gefährlich fanden.
Doch die Kritik an diesem Wagnis verstummte, als sich herausstellte, dass die Voraussagen des Gouverneurs voll eintrafen: Der Gemüseanbau kam in Schwung, und die Markthalle hatte sich nach nur fünf Jahren voll amortisiert.
Derart auf den Geschmack gekommen, wurden erneut 4000 Pfund Sterling gedruckt, um den Bau einer Straße in Auftrag geben zu können. Damals – so haben Reisende beschrieben – versank die Insel im Morast kaum noch benutzbarer Straßen. Auch die Geldscheine dieser Serie wurden nach Fertigstellung der Straße wieder aus dem Verkehr gezogen.
Überall auf der Insel wurden jetzt Projekte in Angriff genommen, die nicht länger am fehlenden Gelde scheiterten, da man inzwischen gelernt hatte, sich dieses unter bestimmten Voraussetzungen selbst zur Verfügung zu stellen und vorsichtig dosiert in Umlauf zu setzen. So wurde beispielsweise eine Geldserie gedruckt – und zwar 5000 Pfund Sterling – um eine lästige Restschuld in England tilgen zu können. Da der englische Kreditgeber natürlich nur an echten Pfund Sterling interessiert war, die Gemüseexporteure auf Guernsey aber gern das in England verdiente Geld gegen das bewahrte Inselgeld tauschten, war man auch diesen Schmarotzer eines Tages los und konnte sich fortan ungeschmälert der Inselwirtschaft widmen.
Eine Geldserie nach der anderen wurde jetzt – immer projektbezogen – gedruckt und nach erfolgreicher Arbeit wieder vernichtet. 10 000 Pfund Sterling für den Bau einer Schule, 12 000 für die Sanierung von Häusern im Umfeld der immer bedeutsamer werdenden Markthalle.
Gouverneur Daniel de Lisle Brock achtete jedoch darauf, dass nie mehr als 60 000 Pfund Sterling auf der Insel gleichzeitig kursierten. Möglicherweise steht diese kluge Geldmengenbegrenzung im Zusammenhang mit der inzwischen eingetretenen Vollbeschäftigung. Oder erkannte er bereits die Gefahren der Inflation? Die erst jetzt einsetzende Forschung auf diesem jungfräulichen Gebiet der Geschichte des Geldes wird uns hoffentlich bald näheren Aufschluss geben.
Ganze Slumquartiere konnten jetzt schrittweise in Siedlungen mit hellen modernen Häusern und Wohnungen verwandelt werden. Anstatt wie bisher das teure englische Mehl zu importieren, wurden gleich mehrere Windmühlen gebaut. Weitere Schulen konnten errichtet werden. Die bei Regen kaum passierbaren Straßen auf Guernsey galten schließlich als die besten Europas! Innerhalb von zehn Jahren hatte sich Guernsey in eine blühende Insel verwandelt und geriet dadurch in das Blickfeld geldgieriger Spekulanten und Banken.
Die Gegner schlafen nicht
Obwohl es jetzt allen Inselbewohnern gut ging, gab es natürlich Leute, die von Zinsen und sonstigen arbeitsfreien Einkommen und Reichtümern träumten. Bei diesen Leuten fanden die Banken genau das, was sie suchten: Mitstreiter für einen der schäbigsten Angriffe auf die Unabhängigkeit ahnungsloser Menschen.
Das Londoner Bankhaus Finkelstein & Go. machte den Anfang und errichtete eine prachtvolle Bankfiliale auf der Insel. Kurz darauf folgte ihr die Commercial Bank. Mit großem Propagandaaufwand wurde von beiden Bankhäusern ein ,,besseres“ Geld in Aussicht gestellt, ja sogar ein ,,lebendiges“ Geld, das sich nicht nur ganz von allein vermehren würde, sondern vor allem auch mit einer ewigen Gültigkeit lockte. Obwohl der Gouverneur wie ein Löwe für seine Inselwährung gekämpft haben soll, fiel die vom Wohlstand wohl etwas träge gewordene Bevölkerung auf die heimtückischen Versprechungen der beiden Banken herein.
Zum Entsetzen des Gouverneurs führten die Lügen und Intrigen der Banker schließlich zu einer folgenschweren Entscheidung der gesetzgebenden Versammlung: Auf Anraten der hinterlistigen Banken wurde die umlaufende Geldmenge von 60 000 Pfund Sterling auf 40 000 Pfund Sterling reduziert. Der sofort einsetzende und spürbare Geldmangel musste durch Bankkredite ,,ausgeglichen“ werden! Bevor sich die Folgen und Lasten der Zinswirtschaft erkennbar auswirken konnten, hatte sich das überrumpelte Volk von Guernsey von der segensreichen lnselwährung verabschiedet und bekam anschließend die Knute des herrschenden Kapitals zu spüren.
Nachforschungen meiner skandinavischen Freunde haben u.a. ergeben, dass es seinerzeit auch zu einer verhängnisvollen Komplizenschaft zwischen den beiden Banken und den Schmugglern der Insel gekommen ist. Die zwischen Frankreich und England sehr günstig gelegene Insel war damals wie heute ein Schmugglerparadies. Die panische Angst vor drakonischen Strafen und die freundliche Zusicherung der Banken, bei Wohlverhalten im Parlament mit dem Schmuggeln ungestört fortfahren zu können, trieb die einflussreiche Zunft der Fischer und Schmuggler in die Arme des Kapitals.
1835 hatten die Banken ihr Ziel erreicht: Das Mirakel von Guernsey wurde endgültig im Zins ertränkt. Heute gleicht die Insel einem Bankenzoo und steht im harten Wettbewerb mit den Steuerfluchtburgen Liechtenstein und Luxemburg.
Diese Informationen verdanke ich Eva Stenius (Stockholm), die Guernsey studienhalber besucht hat und mir freundlicherweise das englische Quellenmaterial zur Verfügung stellte sowie Asa Brandberg (Arsta/Schweden). deren Artikel ,,Mirakelekonomin pa Guernsey)“ ich einsehen konnte.
Literatur:
Edward Holloway: HOW GUERNSEY BEAI THE BANKERS
Theodore R. Thoren & Richard E Warner: TRUTH IN MONEY BOOK
James Mans: HISTORY OF GUERNSEY Wer auf eigene Faust weiterforschen möchte
dem sei u. a. ein Besuch des ,,Folk Museum in Saumarez Park“ (Curator Derrik Eury), St. Peter Port, Guernsey, empfohlen.
Aus:
DER DRITTE WEG Oktober 98
Die Banken müssen vernichtet werden, ihre Architekten aus der menschlichen Gesellschaft entfernt werden – und zwar mit Stumpf und Stiel – wenn die Menschen jemals frei sei wollen.